Moralische Reflexe statt Reflexivität
Was Cancel Culture, Identitätspolitik und Corona-Maßnahmen gemein ist
Die Fälle muten skurril an. Für die Übersetzung von Werken der schwarzen Poetin Amanda Gorman bedarf es heute Personen mit passender Hautfarbe oder immerhin adäquatem kulturellem Hintergrund – ein internationales Phänomen. Eine neun Jahre alte “Jugendsünde” in Form eines (vermeintlich?) rassistischen Tweets verhindert die berufliche Karriere einer preisgekrönten Journalistin, ihren Entschuldigungen zum Trotz. Ein renommierter Schauspieler fragt sich ernsthaft, ob er als Nicht-Behinderter, Behinderte, als Schlanker fette Personen, oder, nicht betroffen von Trauer, traurige Personen spielen darf; von der Möglichkeit des “Blackfacing” ganz zu schweigen (Sternstunde Philosophie: vgl. ab Minute 21:45). Dies angesichts des Risikos, die Gefühle oder die wahrhaftige Identität der betroffenen Personenkreise zu verletzen und die eigene Reputation aufs Spiel zu setzen. Gemein ist diesen Fällen, dass hier über moralische Bedingungen des Handelns von Personen disponiert, die Frage verhandelt wird, unter welchen Bedingungen einem selbst und anderen Personen Achtung oder Missachtung zuzurechnen ist. Es geht um situationsunabhängige Urteile über Personen …
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Recommended citation: Räwel, J. (2021) Moralische Reflexe statt Reflexivität. Telepolis, 18 April 2021.